Wie haben Sie die Flöte für sich entdeckt?

Ich habe die Querflöte durch Prokofieffs Stück «Peter und der Wolf» entdeckt. Auch heute noch finde ich diese Flötensoli ausserordentlich gut geschrieben, weil sie das Instrument so zur Geltung bringen. Zwei Jahre nachdem ich mit dem Flötenspielen begonnen hatte, trat ich dem Orchester des Konservatoriums des 10. Arrondissements von Paris bei. Schon bei den ersten Proben spürte ich, dass ich Musikerin werden wollte.

Können Sie sich noch an Ihren ersten Auftritt als Soloflötistin erinnern und welche Emotionen spielen heute bei Ihnen, wenn Sie als Solistin auf der Bühne stehen?

Meinen ersten richtigen Auftritt als Solistin mit Orchester war beim Jugendorchester der Bachakademie in Stuttgart mit der Suite in h-Moll von J. S. Bach. Ich habe an diesem Abend alles gegeben. Und ich habe sehr viel bekommen: vom Orchester, das mich begleitet hat, und vom Publikum. Seitdem hat sich nichts geändert: Ich gebe immer noch alles, wenn ich als Solistin spiele, denn ich weiss, dass es sich um einen Austausch von Gefühlen zwischen Musikerinnen, Musikern und Publikum handelt, egal ob sie glücklich oder traurig sind. Emotionen und Gefühle mit einem Publikum zu teilen, das ist meine Motivation bei jedem Konzert.

2021 haben Sie das Ensemble «Chant du Vent» ins Leben gerufen. Aus welcher Motivation heraus haben Sie dieses Ensemble gegründet und welche Ziele verfolgen Sie mit diesem Projekt?

Während meines Studiums habe ich zwei Jahre lang in einem Bläserquintett gespielt. Ich fand es jedoch schade, dass wir bei der Zusammenstellung unseres Konzertprogramms immer von der Quintett-Besetzung ausgehen mussten. Mit der Zeit und den Erfahrungen, die ich in verschiedenen Kammermusikformaten machen durfte, entwickelte ich die Vision eines Ensembles, das primär im Dienste eines Programms steht. Der Ausgangspunkt bei «Chant du Vent» ist also immer eine bestimmte Idee oder Thema; dies kann zum Beispiel ein Komponist, ein Gedicht, ein Gemälde oder eine musikalische Epoche sein.

Dieses Thema zieht sich dann wie ein roter Faden durch das Programm und ist ausschlaggebend für meine Auswahl der Stücke. Die Musikerinnen und Musiker des Ensembles haben dann die Möglichkeit an diesem spezifischen Projekt mitzuwirken; wir alle teilen das Gefühl, im Dienste der Musik zu stehen.

Sie engagieren sich bei verschiedenen Bildungsprojekten, so zum Beispiel im Iran, wo Sie die Arbeit des Vereins Brücke für die Kunst unterstützen, oder in Kolumbien, wo Sie junge Talente der Iberacademy in Medellín fördern. Was können Sie mit Ihrer Arbeit bewirken?

Der Zugang zur klassischen Musik und zu Studien- oder Meisterkursen ist nicht für jeden leicht. Oft mangelt es an finanziellen Mitteln. Ich hatte das Glück, Eltern zu haben, die alles getan haben, um mir ein Studium in Paris und später in Stuttgart zu ermöglichen. Auch hatte ich das Glück, in Frankreich, Deutschland und der Schweiz zu leben, wo Musikinstitutionen subventioniert werden. Viele junge Studierende haben dieses Glück nicht. Deshalb ist es mir sehr wichtig, zu helfen, wo ich kann. In Kolumbien versuche ich momentan, ein Austauschprogramm zwischen der Universität von Medellín und der Universität von Feldkirch aufzubauen. Im Iran ist die Sache komplizierter, denn wegen der aktuellen Situation kann ich zurzeit nicht dorthin zurückkehren. Ich kann nur Online-Masterclasses anbieten, wenn es eine Internetverbindung gibt… Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf und werde so bald wie möglich wieder dorthin reisen.

Was bedeutet Ihnen Musik ganz persönlich?

Musik ist für mich, zusammen mit dem Tanz, das beste Mittel, um mit Menschen zu kommunizieren. Egal welche Sprache wir sprechen oder woher wir kommen, wir alle können uns durch Musik verständigen. Ich bin davon überzeugt, dass Musik uns zu besseren Menschen macht und Spannungen abbaut. Ich versuche, wie viele meiner Künstlerkolleginnen und -kollegen, eine Botschafterin für die Kommunikation zwischen allen Menschen zu sein.

Woher schöpfen Sie die Energie für all diese Projekte? Was inspiriert Sie?

Ich gehe gerne segeln und tauchen. Ich bin sogar Segellehrerin. Ich würde gerne mehr Zeit für diese beiden schönen Sportarten haben. Ich finde es wichtig, regelmässig Energie zu tanken, sowie neue Inspirationen und Ideen zu finden. Es gibt nichts Inspirierenderes als einen Meeresgrund oder eine schöne, frische Meeresbrise.