Wie sind Sie zu VOCES8 gekommen und was bedeutet es, Teil dieses Ensembles zu sein?

Seit meinem siebten Lebensjahr singe ich, zunächst im örtlichen Kirchenchor, dann an der High School. Darauf folgte ein Musikstudium, während dessen ich im Kapellenchor der Universität singen durfte, der ein sehr hohes Niveau hatte. Als Mitglied dieses Kapellenchors sang ich in regelmässig stattfindenden Gottesdiensten, aber auch auf Tourneen und bei Aufnahmen, was mir einen Vorgeschmack auf das Berufsleben als Musiker gab. Während meiner Abschlussprüfungen wurde gerade eine Stelle bei VOCES8 frei und so bewarb ich mich darauf. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Stelle bekommen würde, aber es hat funktioniert und jetzt, sieben Jahr später, bin ich noch immer dabei!

Bei Menschen auf der ganzen Welt ruft eure Musik ein Gefühl von tiefer Ehrfurcht hervor, viele beginnen sogar zu weinen, wenn sie eure Musik hören. Was macht Vokalmusik so berührend? Und was macht den Klang von VOCES8 so einzigartig?

Ein wichtiger Punkt ist sicher, dass man beim Hören von A-Cappella-Musik den Klang der unbegleiteten menschlichen Stimme hört. Vom ersten Atemzug an sind wir darauf ausgelegt und trainiert, auf die Stimmen anderer Menschen zu reagieren. Dies einerseits für die grundlegendsten Funktionen des Lebens, anderseits aber auch um Geschichten zu hören, um unterhalten zu werden und um unsere Fantasie anzuregen; genau das macht uns als Menschen aus. Bei VOCES8 singen wir unbegleitet, unverstärkt und oft relativ leise, und das ermöglicht eine sehr direkte Verbindung zum Text, die dem Sprechen viel näher ist als jede andere Form von Musik. Dadurch entsteht bei den Hörern und Hörerinnen ein Gefühl von echter, zutiefst menschlicher Verbindung. Ich glaube, das ist der Grund, warum Menschen Chormusik so fesselnd finden. Natürlich sind wir bei VOCES8 bestrebt, unseren Klang so weit wie möglich zu verfeinern, um sicherzustellen, dass das Erlebnis auch musikalisch befriedigend und technisch beeindruckend ist, aber alle diese Bemühungen stehen immer im Dienst des Textes und die Emotionen geschehen nicht um ihrer selbst willen.

In einem Ensemble zu singen, muss etwas ganz Besonderes sein. Auf der Bühne hat jeder von Euch eine klar definierte Rolle. Wie sieht es mit dem Leben abseits der Bühne aus? Welche Rolle nehmen Sie in der Gruppe ein?

Unsere Aufgaben abseits der Bühne sind nicht so klar definiert, und wenn man so viel tourt, ist es wichtig, sich eine Pause zu gönnen, wann immer man nur kann! Wir haben das Glück, ein wunderbares Team von Agenten und Agentinnen und Mitarbeitenden zu haben, die so viel dafür tun, dass die Show „on the road“ bleibt. Dennoch übernehmen viele Mitglieder des Ensembles noch andere Aufgaben. Ich persönlich komponiere und arrangiere viel in meiner Freizeit.

Die Mitglieder von VOCES8 sind alle recht jung. Dennoch besteht ein grosser Teil eures Repertoires aus sehr alter, geistlicher Musik. Was fasziniert Sie an dieser Musik und warum ist es wichtig, sie am Leben zu erhalten?

Viele von uns hatten das Glück, als Sänger oder Sängerin in englischen Kathedralen aufzuwachsen, wo diese jahrhundertealte Musik jeden Tag in den Gottesdiensten gesungen wird; sie liegt uns also praktisch im Blut. Mit unseren Konzerten bringen wir sie aus der Kirche auf die Bühne, weil wir das Gefühl haben, dass diese Musik immer noch eine Botschaft und eine Bedeutung für die Menschen hat, die über die alltägliche religiöse Funktion, für die sie einst vielleicht geschrieben wurde, hinausgeht. Ausserdem war die Renaissance eine so kreative und innovative Zeit für die Chormusik – in dieser Zeit begann unsere Kunst wirklich die Form anzunehmen, die wir heute kennen. Es ist vor allem mehrstimmige Musik, die es uns ermöglicht, mehr individuelle Stimmfarben zu zeigen und bildet damit einen schönen Kontrast zu modernerer Musik, die oft homophoner ist. Wir versuchen eine breite Palette von Stilen zu singen – mit einer geistlichen Motette und einem weltlichen Madrigal aus dem frühen 16. Jahrhundert könnte man wahrscheinlich beinahe alle Emotionen abdecken!

Aber obwohl VOCES8 in der alten Chortradition verwurzelt ist, bringt es auch viel zeitgenössische Musik auf die Bühne. Wie fühlt es sich an, mit einem lebenden Komponisten/einer lebenden Komponistin zusammenzuarbeiten?

Natürlich lieben wir auch neue Musik, und wir hatten das Glück, im Laufe der Jahre mit vielen brillanten Komponisten und Komponistinnen zusammenzuarbeiten. Der Arbeitsprozess hängt von dem jeweiligen Werk und dem Anlass ab, aber wir haben festgestellt, dass es besser ist, der Komponistin/dem Komponisten bei der Wahl des Textes und des Umfangs des Werks so viel Freiheit wie möglich zu lassen – auf diese Weise erhält man ein Werk, das authentisch ist. Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie verschiedene Leute die Stimmen der Gruppe auf unterschiedliche Weise einsetzen. Wenn wir das Werk zum ersten Mal lesen, folgt darauf meist ein Gespräch mit der Komponistin/dem Komponisten, auf Grund dessen dann oft kleine Änderungen am Werk vorgenommen werden, die dazu dienen, das Beste aus unseren Stimmen herauszuholen.

Menschen zusammenzubringen und Gemeinschaft zu schaffen, scheint für euch sehr wichtig zu sein. Wie macht ihr das und warum ist Vokalmusik eurer Meinung nach so geeignet, um Menschen ein Gefühl von Zugehörigkeit zu geben?

Ein wichtiger Punkt, den ich bereits erwähnt habe: Chorsingen verbindet Menschen auf sehr intensive Art und Weise. Es ist erwiesen, dass das Singen mit anderen glücklich macht. Ich denke, dass der Grund dafür zu einem grossen Teil in der Teamarbeit liegt, die es dafür braucht. Wir alle bei VOCES8 sind uns darüber einig, dass der Grund, warum wir Kammermusik so fesselnd finden, derjenige ist, dass die individuelle Musikalität durch das Miteinander von einer Kraft erfüllt wird, die nur durch gute Teamarbeit erreicht werden kann. Egal in welchem Chor man singt, ob Amateur- oder Profichor, man muss dabei immer ein wenig von seiner eigenen Meinung und seinen Zielen aufgeben, um etwas zu erreichen, das grösser ist als die Summe der einzelnen Teile.

VOCES8 konnte in den letzten Jahren enorme Erfolg erzielen. Wie haben Sie das erlebt? Wie hat es Sie als Person und die Art und Weise, wie Sie Ihre Arbeit wahrnehmen, geprägt?

Dass es ein gutes Gefühl ist, auf die Bühne zu kommen und von Hunderten von Menschen freudig begrüsst zu werden, muss ich hier sicher niemandem erzählen. Ich schätze mich glücklich, dass ich dank VOCES8 die Möglichkeit habe, zu reisen, an berühmten Orten zu singen und mit einigen meiner musikalischen Helden zusammenzuarbeiten. Aber wir alle spüren, dass mit der Bewunderung auch die Verantwortung einhergeht, uns nie auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Ich finde es wunderbar, dass VOCES8 in der ganzen Welt so viele Fans hat, und ich bin besonders stolz darauf, dass wir für viele junge Menschen der erste Zugang zur klassischen Musik sind.

Das Interview führte Karin Labhart