Wann haben Sie das erste Mal gemerkt, dass Sie eine besondere Stimme haben? Und was hat das mit Ihnen gemacht?

Wenn ich darüber nachdenke, wird mir bewusst, dass es weniger die Erkenntnis war, eine schöne Stimme zu haben, sondern die schiere Freude am Singen, die mich bereits als Dreijährige erfasste. Mit acht Jahren setzte mich mein damaliger Pfarrer und Religionslehrer als Kinderkantorin in der Kirche ein. Ich kann mich noch genau an die Begeisterung erinnern, mit der ich den Bibeltext zu Klang gemacht habe.

Wie sind Sie zur Alten Musik (geistigen Barockmusik) gekommen – oder besser gefragt, wie kam sie zu Ihnen?

Die Alte Musik kam tatsächlich zu mir! Während meiner Jugendzeit habe ich mich hauptsächlich mit Mozart, Schubert, Schumann und Belcanto beschäftigt. Doch während meines Studiums an der Musikakademie Basel hatte ich das Glück, bei Kurt Widmer zu lernen, der mir zeigte, wie ich technisch versiert und seelisch inspiriert Musik bewegen kann – ein Wissen, das sich in allen Stilrichtungen anwenden lässt. Durch einen Zufall wurde ich dann Teil der Basler Konzertreihe «Bachkantaten in der Predigerkirche». Dies übte eine sehr starke Anziehungskraft auf mich aus, weil ich spürte, dass mir die Musik von Bach, seiner Zeitgenossen und seines frühen Umfeldes in die Kehle und in die Seele gelegt sind.

Ihre grosse Leidenschaft gilt der Musik von Johann Sebastian Bach. Was fasziniert Sie an seinem Werk und was gibt Ihnen die Auseinandersetzung mit seiner Musik?

Die Bachkantaten sind für mich eine absolute Herzensangelegenheit. Die Musik und die Texte berühren mich ganz tief. Wenn ich mich mit dieser Musik auseinandersetze und im Konzert singe, geschieht dies immer mit ganzer Seele. Die Werke sprechen mich direkt an, holen mich in meinem Leben ab und stärken mich ungemein. Man könnte fast sagen, dass diese Musik für mich so etwas wie eine psychologische Wirkung hat.

Was kann diese Alte Musik der heutigen modernen Welt geben?

Alles! Die Sprache der Alten Musik ist eine direkte, eine affektreiche Sprache. Ich finde darin eine grosse und ehrliche Vielfalt an Emotionen und Klangfarben wieder. Das fehlt mir im modernen Klangbild. Bach, Mozart und Schubert klingen viel reicher, wenn sie historisch informiert oder mit historischem Instrumentarium musiziert werden. Das Gleiche gilt auch für den Einsatz der menschlichen Stimme. Was wir heute an vibratoreichem Klang gewohnt sind, ist erst eine Entwicklung des ausgehenden 19. bzw. beginnenden 20. Jahrhunderts. Bis dahin war ein schlankeres, natürlicheres, an den damaligen Instrumenten orientiertes Stimmideal das Vorherrschende. Inhaltlich betrachtet: Die Menschen in der Barockzeit beschäftigten sich genau mit denselben Themen und Lebensfragen wie wir heute. Auch wenn uns die Sprache der Kantaten manchmal etwas sperrig vorkommen mag, lässt sich der Inhalt doch gut in die heutige Zeit übersetzen und vermag uns da abzuholen, wo wir gerade sind.